Für Eltern bedeutet die Vorbereitung auf Weihnachten selten Besinnlichkeit und zur-Ruhe-kommen, sondern Stress pur. Im „Corona-Jahr“ 2020 kommen Ängste und Beklommenheit hinzu. Seit dieser Woche sind viele Eltern wieder komplett daheim, schultern Kinderbetreuung, Beschulung, Home Office und Weihnachtsvorbereitungen auf einmal. Wichtige Kraftquellen der Vorweihnachtszeit fallen zudem weg – vor allem der soziale Kontakt und das Zusammenkommen mit Freund*innen, Kolleg*innen und Familie fehlen. Wie schaffen es Eltern, trotz dieser überfordernden Bedingungen, die Familienzeit an den Feiertagen harmonisch zu gestalten, ohne sich dabei selbst aufzugeben? Viel miteinander sprechen, achtsam auf sich selber sowie andere schauen und sich auf die Dinge fokussieren, die man selbst gestalten kann, anstatt sich an den äußeren Umständen aufzureiben – das rät Dr. Karen Silvester, Expertin für Familienfragen beim SOS-Kinderdorfverein.
Wie schaffen es Eltern, den jetzt anstehenden Weihnachtsendspurt entspannt und gelassen zu gestalten – trotz der belastenden und bedrückenden Umstände?
Vielleicht setzt der Ansatz „Ich soll gelassen und entspannt sein“ schon unter Druck, vielleicht sind es auch die Erwartungen der anderen Familienmitglieder, des Partners oder die eigenen, die man unbedingt erfüllen möchte. Nehmen Sie sich daher ein paar Momente gemeinsam mit dem Partner, die persönlichen Ziele für Weihnachten zu definieren. Schauen Sie sich an, welche Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche übereinstimmen und an welchen Stellen, schon kleine Kompromisse helfen, Streit und Stress bereits im Vorfeld beizulegen. Und um diesem „Corona Weihnachten“ in Punkto Stress auch etwas Positives abzugewinnen: In diesem Jahr ist es gar nicht möglich, alle Familienmitglieder einzuladen oder zu besuchen. Deshalb ist es nur notwendig, sich in einem kleinen Kreis zu verständigen, wie die drei Tage ablaufen sollen. In diesem Jahr fallen sicher viele lieb gewonnene Rituale aus. Vielleicht fühlen Sie sich deshalb auch gar nicht weihnachtlich und es fällt Ihnen besonders schwer, gelassen zu sein. Akzeptieren Sie das und sprechen es aus! Vielleicht führt so ein Gespräch zu Entspannung – oftmals ist es erstaunlich, wie viel weniger andere von uns erwarten, wenn wir nachfragen und uns öffnen.
Dieses Jahr ist alles anders – Schulen und Kitas mussten früher schließen, Eltern sind zurück im Home Office, die Kinder daheim. Die Spannungen innerhalb der Familien werden steigen und vielerorts wird schon vor Weihnachten dicke Luft herrschen… Wie sollte man mit dieser Situation umgehen?
Machen wir uns nichts vor: Es ist eine anstrengende Zeit. Das lässt sich nicht schön reden. Manchem kommt es so vor, als ob man allem machtlos ausgeliefert sei. In solchen Situationen hilft es, sich darauf zu besinnen, was wir selbst in der Hand haben und gestalten können. Denn an den Regeln können wir nichts ändern. Wie wir uns und unserer Familie die Zeit im Rahmen des Möglichen gestalten, jedoch schon!
Natürlich ist das nicht in jeder Situation so leicht umsetzbar und trotz dieses positiven Ansatzes, kommen insbesondere Eltern nun an ihre Grenzen. Hier braucht es die Sensibilität des Umfeldes, des Partners – und den eigenen Mut, rechtzeitig zu sagen, wann etwas zu viel wird. Machen Sie sich klar: Keiner kann durchgehend funktionieren. Noch nicht mal Eltern. Jeder braucht Oasen, in denen er wieder Energie auftankt. Das kann ein Spaziergang sein, die Yoga-Stunde online, Musik mit Kopfhörern hören, ein Telefonat mit Freund*innen oder ein Mittagsschlaf. Ganz egal was, Hauptsache es gibt in diesem kurzen Freiraum keine anderen Pflichten. Durch diesen Energiepuffer fällt es leichter, den berechtigten Bedürfnissen der Kinder dann wieder gerecht zu werden. Vor allem sollten wir jetzt besonders achtsam den Anderen gegenüber sein: die eine oder andere Stichelei einfach mal weg lassen und sich lieber für Lachen statt Schimpfen entscheiden!
Weihnachten ist für viele das Fest der Liebe und des Friedens, aber wenn man ehrlich ist, knallt es in vielen Familien ganz gehörig. Warum ist das so und was kann man tun, um dem vorzubeugen?
Streit vorzubeugen geht am besten, wenn wir uns über die „Mythen“ der Feiertage klar werden und sie mit unseren Bedürfnissen in Balance bringen. Dann ist es halt „nur“ das Fest, an dem wir versuchen, anderen mit einem Geschenk eine Freude zu machen oder es gibt halt „nur“ Würstchen mit Kartoffelsalat als neue, eigene Familientradition. Und vielleicht gehört es dann einfach dazu, an Weihnachten offen miteinander zu reden – oder auch mal zu streiten. Streit an sich ist nichts Schlimmes. Streit bedeutet erst mal nur, dass jeder seine Position vertritt, seine Bedürfnisse benennt und eine Grenze zieht. Wenn Streit fair bleibt, tritt danach oft so etwas wie „Frieden und Versöhnung“ ein. Schlimm wird es, wenn Streit unfair oder sogar aggressiv wird. Das ist insbesondere für Kinder furchtbar und kann Narben für ein ganzes Leben hinterlassen. Hinterfragen Sie daher immer die eigene Position: Muss ich das jetzt anbringen – will ich nur sticheln oder habe ich was Wichtiges zu sagen? Sollte ich den Alkohol besser weglassen? Wenn Sie sich eingestehen, dass sie vielleicht sogar Angst vor den Feiertagen haben, sollten Sie sich schon jetzt Hilfe und Unterstützung holen.
Und wenn es doch zu einem großen Streit kommt? Was können Eltern tun, um Kindern dies zu erklären, ohne das Weihnachtsfest für sie zu „beschädigen“?
Das ist in der Tat eine Gratwanderung. Kinder sind oft sehr feinfühlig. Sie spüren vielleicht noch vor uns, dass sich schlechte Stimmung anbahnt. Diese Wahrnehmung versetzt Kinder bereits in Stress, denn Kinder beziehen alles zuerst auf sich. Das ist normal und eine regelrechte Entwicklungsphase. Das bedeutet aber auch, dass Kinder den Gedanken haben „Meine Eltern streiten, weil ich etwas falsch gemacht habe es liegt an mir“. Das erzeugt bei Kindern das Gefühl von Scham und Schuld – das gilt für Streit zu jedem Zeitpunkt im Jahr. Ich denke, es ist die Verantwortung von Eltern, Streit so beizulegen, dass die Kinder dies wiederum spüren. Eine harmonische „Weihnachtsshow“ vorzuspielen, fühlt sich für Kinder falsch an und verwirrt sie nur zusätzlich. Deshalb sollte die Frage eher sein: Wie erkläre ich mir mein Verhalten selbst? Ist es adäquat? Und wenn es gar nicht anders geht, dann sollten wir lieber einem Kind erklären, dass es gerade einen Streit gibt. Das beschädigt Weihnachten weniger als eine gespielte, heile Familie. Das gilt aber nur für „kleinere“ Streitigkeiten. Wenn es zu Ausbrüchen von verbaler oder physischer Gewalt kommt, dann müssen Kinder sofort aus dem Konflikt und an einen sicheren Ort. Wer solche Befürchtungen hegt, sollte sich innerlich und organisatorisch vorbereiten. Eines ist dann aber klar: Für die Kinder ist Weihnachten damit beschädigt.
Weihnachten ohne Oma und Opa, ohne Verwandte – dazu haben sich viele Familien aus Vorsicht entschieden. Für viele Kinder ist das eine große Enttäuschung. Wie erklären Eltern kindgerecht, dass dieses Weihnachten so anders wird?
Kinder leben nun schon fast ein Jahr mit diesem „Corona“. Ein Jahr ist für ein Kind eine sehr lange Zeit. Im Alltag haben sie sich bestimmt schon an viele neue Verhaltensweisen, Ver- und Gebote gewöhnt. Je nach Alter haben Kinder aber schon die Idee „Weihnachten ist unumstößlich“. Deshalb ist es zuerst einmal wichtig, dass Eltern mit ihren Kinder offen darüber reden, was dieses Jahr anders wird. Vergessen Sie nicht, auf Augenhöhe zu erklären und Ihre Kinder in die Planungen mit einzubeziehen. Überlegen Sie gemeinsam als Familie, was trotz der Corona-Lage möglich ist: Stellen Sie zum Beispiel Weihnachtspäckchen mit den Kindern zusammen, verzieren Sie gemeinsam Kekse für Oma, skypen Sie unterm Christbaum mit Opa, nehmen Sie ein Lied auf, treffen Sie sich an einem der Feiertage zu einem Spaziergang mit Verwandten im Park … Eröffnen Sie alternative Möglichkeiten zu den bekannten Abläufen und beziehen Sie die Ideen Ihrer Kinder mit ein. Kinder sollten das Gefühl haben, dass sie etwas tun können. Zum anderen: Erzählen Sie, wie sie den Weihnachtsabend planen – und betonen Sie, dass nicht alles, aber (hoffentlich) vieles so werden wird wie immer.
Und nach Weihnachten? Der Lockdown ist mindesten bis zum 10. Januar geplant. Eine Aussicht, die vielen die Freude am Weihnachtsfest verdirbt. Wie schafft man es dieser ernüchternden Perspektive zu trotzen; hilft es, die Entwicklungen auszublenden?
Wegschauen hilft nicht. Leider. Wir müssen ja im Bild bleiben, was grundsätzlich vor sich geht. Wobei eine Informationsreduktion über die Feiertage sicherlich eine gute Wahl ist. Zudem ist es hilfreich, sich auf die schönen Dinge zu fokussieren – also wiederum auf die Dinge, die wir selber in der Hand haben. Vielleicht verleitet uns dieser Blick auch auf die Chance zu mehr Experimentierfreude: Warum nicht die ungewöhnliche Situation dafür nutzen, das zu tun, was Sie schon immer mal tun wollten – es aber nicht den Konventionen entsprach: Weihnachtsgrillen, Weihnachtslieder-Karaoke, Bescherung im Schlafanzug statt in der Abendrobe, doch mal wieder die Eisenbahn aufbauen, alle Harry-Potter-Filme hintereinander schauen oder – was Kinder lieben: einfach nur gemeinsam spielen.